Die Kirche hat viel Schuld auf sich geladen
- Claudia Schröder
- 5. Nov.
- 5 Min. Lesezeit
Queere Menschen
Der Buss- und Bettag am 19. November ist ein guter Anlass, um sich der Schuld der Kirche gegenüber queeren Menschen zu widmen, findet Christian Höller.
29.10.2025, evangelisch.de: Blog kreuz & queer
Die Evangelische Kirche hat – wie andere christliche Kirchen und Religionsgemeinschaften – beim Umgang mit queeren Menschen viel Schuld auf sich geladen. Hier gibt es nichts zu beschönigen. Ich freue mich, dass die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) am diesjährigen Buss- und Bettag (19. November 2025) in Darmstadt einen zentralen Gottesdienst zum Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen veranstaltet.
Der Gottesdienst steht unter dem Titel: «Im Regenbogen Gottes – erinnern, bekennen, feiern». Die Einladung erfolgt von der Kirchenleitung und dem Kirchensynodalvorstand. Der Gottesdienst in der Darmstädter Pauluskirche wird von einem Team queersensibel arbeitender Pfarrpersonen und Ehrenamtlichen gestaltet. Die Stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf und das Mitglied des Kirchensynodalvorstands Sonja Löytynoja werden zum Inhalt des Schuldbekenntnisses und über weitere Schritte in der EKHN sprechen. Im Gottesdienst sollen auch die Erfahrungen queerer Menschen hörbar werden.
Versöhnung ist ein Vorgang, der Vertrauen, Aufrichtigkeit, eine Entschuldigung und Wiedergutmachung erfordert. Zur Versöhnung gehört auch, dass die Kirchen ihr jahrzehntelanges Unrecht aufarbeiten. Zudem halte ich es für wichtig, dass die Kirchen auch die Emotionen von queeren Menschen (wie Wut, Ärger, Trauer und Scham) verstehen. Den Verantwortlichen muss klar sein, wie tief sie oft queere Menschen verletzt haben. Es handelt sich dabei um existenzielle Wunden, die sich in viele Seelen eingebrannt haben.

Warum werden wir noch immer diskriminiert?
Es schmerzt mich, dass die Synode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vor wenigen Tagen einen Gesetzesentwurf für die kirchliche Trauung von gleichgeschlechtlich liebenden Paaren abgelehnt hat. Stattdessen soll es bei der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare bleiben – ohne die rechtliche und liturgische Gleichstellung mit der klassischen Trauung. Das ist nicht in Ordnung. Ich kann nicht verstehen, warum wir als queere Personen immer noch diskriminiert werden. Warum ist der Weg der Anerkennung immer noch so schwierig und steinig?
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, die zum diesjährigen Buß- und Bettag einen entsprechenden Gottesdienst veranstaltet, hat das Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen bei der Synode im April 2023 mit grosser Mehrheit verabschiedet. Mich haben die Äußerungen von Nulf Schade-James in der Synodendebatte sehr berührt. «Es war ein weiter Weg, bis ich sicher sein konnte, als Pfarrer genauso willkommen zu sein, wie meine heterosexuellen Geschwister», sagte Schade-James. Er habe in der Evangelischen Kirche in der Vergangenheit zu spüren bekommen, dass Homosexualität ein Problem sei.
Suizid eines schwulen Kommilitonen
«Auf einem Kirchentag spuckte mich ein Theologieprofessor an, als ich ihn um Solidarität bat», erzählte Schade-James. «Kirchentage waren auf der einen Seite immer mit großer Euphorie und Begeisterung verbunden, auf der anderen Seite erlebten wir Schwule und Lesben Hass und Verachtung», erinnerte sich der heutige Pfarrer. «Ich denke an den Kommilitonen, der aus Angst, als Schwuler geoutet zu werden, sich erhängte. Und an die vielen anderen, die unserer Kirche den Rücken gekehrt haben.» Schade-James erwähnte die Namen von homosexuellen Pfarrern, die über Jahre ihr Amt nicht ausüben durften.
Auch Yvonne Fischer schilderte in der Synodendebatte ihre Erfahrungen der Ausgrenzung. So habe ihr früherer Pfarrer über Genesis 1 gepredigt und gemeint: «Mann und Frau sind Abbild Gottes und deshalb ist Homosexualität nicht gottgemäß.» Sie, so Fischer, sei dann da gesessen und habe gedacht: «Ich bin falsch, ich bin falsch.»
«Bin irgendwie falsch»
Auch der Staat und die Gesellschaft haben mit der Ausgrenzung von queeren Menschen viel Schuld auf sich geladen. Die lesbische Autorin Sara Miles schrieb in der Komposition „All the Rage“, dass für sie die Welt auseinander gebrochen sei, als jemand das erste Mal „Queer“ sagte und ihr klar geworden sei, dass sie damit gemeint sei. Sie verband mit dem Wort „Queer“, dass sie irgendwie falsch sei. Ähnlich äußerte sich der französische Autor und Soziologe Didier Eribon. Das Wort „Queer“ habe ihm bewusst gemacht, «dass ich nicht bin wie die anderen, nicht in der Norm. Jemand, der queer ist, ist: Merkwürdig, seltsam, krank … unnormal».
Solche Zuschreibungen formen die Beziehung von queeren Menschen zu anderen Menschen und zur Welt. Laut Eribon sind die Traumatisierungen bei queeren Menschen im Gedächtnis und im Körper eingeschrieben. «Denn Schüchternheit, Befangenheit, Furcht, Unsicherheit, Scham usw. sind körperliche Reaktionsweisen, die von der Feindlichkeit der Außenwelt produziert werden», betont Eribon.
Queere Menschen stehen daher oft unter sozialen und emotionalen Druck. Dieser Minderheitenstress kann zu psychischen Erkrankungen wie starken Ängsten und Depressionen führen. Queere Menschen haben nicht selten das Gefühl, wertlos oder nicht gut genug zu sein. Scham und Selbsthass sind Gefühle, die viele queere Menschen kennen. Zum Glück sind viele Kirchen in Deutschland heute queerfreundlicher und haben Diskriminierungen beseitigt. Doch die alten Narben bleiben. Auch darf nicht übersehen werden, wie schlimm die Situation für queere Christ:innen in Osteuropa und in anderen Ländern ist. Leider vertreten auch die Evangelischen Kirchen in Osteuropa noch immer eine queerfeindliche Haltung.
Ich finde es wichtig, dass immer mehr Kirchen und Religionsgemeinschaften ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen ablegen. Mitte Oktober entschuldigte sich die Norwegische Kirche offiziell bei queeren Menschen. In der Vergangenheit hatte die evangelisch-lutherische Volkskirche gleichgeschlechtlich liebende Menschen für «pervers» und «verachtenswert» gehalten.
Homosexuelle Menschen wurden sogar als «globale soziale Gefahr» bezeichnet. Besonders schlimm waren Äußerungen von norwegischen Kirchenleuten, wonach Aids eine «Strafe Gottes» sei. „Die Norwegische Kirche hat LGBTQ-Menschen Schande, schweren Schaden und Schmerz zugefügt“, sagte Bischof Olav Fykse Tveit. Queere Organisationen in Norwegen begrüßen die Entschuldigung.
Queersein ist Teil der Schöpfung
Ich möchte mich bei allen Menschen in den Kirchen, die sich für uns einsetzen und uns unterstützen, ganz herzlich bedanken. Viele evangelische Landeskirchen in Deutschland haben sich geändert und einen Reformprozess eingeleitet. Im April beschloss etwa die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, dass auch queere Menschen heiraten dürfen. Das war ein wichtiger und notwendiger Schritt. Denn non-binäre und queere Lebensformen, Homosexualität, Bisexualität, trans und inter sind Teil der Schöpfung.
Die gescheiterte Abstimmung in Württemberg schmerzt. Ich appelliere an die Menschen, die sich gegen eine vollständige Gleichstellung aussprechen: Haltet nicht länger an falsch verstandenen Bibelversen fest! Denkt bitte auch an den Schmerz, den ihr uns zufügt! Dazu eignet sich der Buß- und Bettag – es ist ein Tag der Einsicht, der Umkehr und der Neuorientierung. Der Tag soll auch zum Nachdenken über kirchliche und theologische Fehlentwicklungen anregen.
Zum Autor
Christian Höller ist Journalist und Psychotherapeut. Er arbeitet in Wien als Psychotherapeut in freier Praxis und bei Hemayat, einem Zentrum für geflüchtete Menschen, die Folter, massive Gewalt und Krieg überlebt haben. Höller ist queer und begleitet in seiner psychotherapeutischen Arbeit queere Menschen. Er wurde mit einer seltenen Erkrankung geboren und ist mehrfachbehindert. Er hat viele Jahre ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge Wien gearbeitet und engagiert sich in Wien beim Verein «Queer Glauben».
Wir haben diesen Text bei evangelisch.de gefunden. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors.


