Und das gilt nicht nur für den Distelfinken
Kennen Sie die Geschichte von der Erschaffung des Distelfinken (auch Stieglitz genannt)?
Die geht so: Als der liebe Gott die Vögel erschuf (die Bibelkundigen unter uns wissen, dass das am fünften Tag der Schöpfung war), da hat er jedem Vogel die Farben aufgemalt, die er haben sollte. So wurden die Krähen schwarz, die Schwäne weiß, die Kohlmeisen ein wenig festlich mit schwarzer Krawatte über dem gelben Bauch usw. Und als der fünfte Tag schon fast vorüber war, betrachtete der liebe Gott sein Werk und war sehr zufrieden. Doch auf einmal meldete sich ein völlig farbloser Vogel und schrie: „Ich habe doch noch gar keine Farben bekommen!“ – „Oh“, sprach der liebe Gott, „jetzt haben wir ein Problem… Meine Farbtöpfe sind schon leer – was machen wir denn da?“ „Ich bin ja so klein“, piepste der Distelfink, „da muss doch noch ein kleines Bisschen übrig sein!“ Und so kratzte der liebe Gott aus jedem Farbtopf noch einen winzigen Rest zusammen und malte dem farblosen Distelfinken ein buntes Federkleid. Und so wurde der Distelfink zum schönsten Vogel im ganzen Garten Eden. (Den Einspruch der Bibelkundigen, dass es den Garten Eden nur in der anderen Schöpfungsgeschichte gibt – der ohne die sieben Tage – müsst ihr mir nicht schreiben, aber ich finde den Schluss der Geschichte so am schönsten…)
„Gottes Lieblingsfarbe ist bunt!“ So formulierte es der ehemalige Kufsteiner evangelische Pfarrer Robert Jonischkeit in seiner Predigt anlässlich der Verleihung des Prädikats „akzeptierend und offen für Vielfalt – a&o“ an die Kufsteiner Pfarrgemeinde. Dieses Prädikat, das in Tirol auch die Pfarrgemeinden Innsbruck-Auferstehungskirche und Kitzbühel führen, ist ein sichtbares Zeichen, dass Menschen mit unterschiedlichen Lebensformen, geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen willkommen sind.
Gott sei Dank ist die Welt nicht nur schwarz-weiß. Und wir Menschen sind es auch nicht. Natürlich ist das ein Lernprozess, zu akzeptieren, dass die Tochter ein anderes Mädchen liebt, der Sohn einen Freund nach Hause bringt statt einer Freundin, oder der Vater endlich dazu stehen lernt, dass er sich schon immer als Frau im falschen Körper gefühlt hat.
Aber wenn Gottes Lieblingsfarbe bunt ist, dann können unsere Herzen weit sein.